Eine Familiengeschichte
Die Bizerba Geschichte
Die Historie Bizerbas beginnt 1866, einem unruhigen Jahr. In Mitteleuropa fordert der Deutsche Krieg, aus dem Preußen als Sieger hervorgeht, zahlreiche Opfer. In Nordamerika wird endlich das offizielle Ende des Bürgerkriegs verkündet. Fjodor Dostojewski veröffentlicht den Roman „Schuld und Sühne“, der Wissenschaftler Alfred Nobel erfindet das Dynamit, und unter dem Atlantik verlegt man das erste Telegraphenkabel.
Von solchen Verwerfungen der Weltgeschichte ist in einer kleinen Stadt am Rande der Schwäbischen Alb wenig zu spüren. Das Leben in den Straßen und Gassen des Oberamtes Balingen im Königreich Württemberg geht ruhig seinen Gang. Doch in einem Fachwerkhaus an der heutigen Wilhelm-Kraut-Straße geschieht etwas, das in die deutsche Industriegeschichte eingehen wird: „A. Bizer Waagenfabrik“ steht auf dem Schild an der Fassade. Der Mechanikermeister Andreas Bizer gründet dort seine Werkstatt. Aus der Verbindung der Namen „Bizer“ und „Balingen“ wird sich 70 Jahre später der Name einer Firma ergeben, die zu einem führenden Anbieter auf dem Weltmarkt der Wägetechnologie wird: Es ist die Geburtsstunde des Unternehmens „Bizerba“.
Andreas Bizer
1906 wechselt der Name der Unternehmerfamilie. Andreas Bizer verkauft den Betrieb an seinen Schwiegersohn Wilhelm Kraut, dem – zusammen mit seinem Sohn – in der Folgezeit ein Meisterstück gelingt: Über den Ersten Weltkrieg und die Wirtschaftskrise hinweg bauen sie Bizerba bis Ende der Zwanzigerjahre zu einem erfolgreichen Unternehmen mit 800 Mitarbeitern aus.
Innovation gehört für Kraut von der Stunde null an zur Philosophie seines Unternehmens. So konstruiert er beispielsweise eine neuartige Tischdezimalwaage mit Laufgewicht, mit der es ihm gelingt, eine üblicherweise für große Lasten verwendete Brückenwaage ins Tischformat zu übertragen. Andere Konstrukteure hatten die Idee bereits gehabt, scheiterten aber an der praktischen Umsetzung. Und sie stellen eine Laufgewichtstischwaage her, die lose Gussgewichte überflüssig macht – diese sind in das Gerät integriert.
Von Wilhelm Kraut senior ist eine Anekdote überliefert, die mit einer Fotografie zu tun hat. Es ist ein altes Foto, natürlich in Schwarz und Weiß, das er stets bei sich trägt, meistens in einer Innentasche seiner Jacke. Die Aufnahme zeigt Mitarbeiter der Werkstatt seines Schwiegervaters, der „Mechanischen Werkstätten A. Bizer“ in Balingen, und sie stammt aus den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts. Die Mitarbeiter stellen die Waagen noch komplett manuell her, ohne jede Maschine. Kraut senior trägt diese Fotografie nicht aus sentimentalen Gründen bei sich. Er zeigt sie gerne, um sich selbst und anderen immer wieder eines vor Augen zu führen: wie schnell der technische Fortschritt voranschreitet. Seine junge Firma hat selbst in diesem frühen Stadium einen rasanten Wandel vollzogen. Es ist ein modernes Unternehmen, das angelehnt an das Prinzip des „Fordismus“ – des großen Industrievorbilds aus den USA – industrielle Warenproduktion betreibt. Rational, effizient – und doch mit hoher Qualität, eine Methode, die zu jener Zeit bahnbrechend ist und den Grundstein für den späteren Erfolg legt.
Wilhelm Kraut senior
Von der Weimarer Republik über die Wirren des Zweiten Weltkriegs bis zum Wirtschaftswunder und zur Marktführerschaft: Wilhelm Kraut junior steht wie kein Zweiter für den Erfolg von Bizerba. Zeitlebens gilt sein ganzes Engagement dem Unternehmen. Und die Maximen seines Handelns gelten bis heute.
Mitten hinein in eine Zeit, die als „Goldene Jahre“ in die Bilanzen eingehen, trifft das Unternehmen eine schlechte Nachricht: Wilhelm Kraut senior erkrankt 1923 schwer. Sein Sohn Wilhelm Kraut junior tritt in die Leitung der Firma ein. Er ist zu diesem Zeitpunkt erst 17 Jahre alt. Wilhelm Kraut senior tritt wegen seiner Erkrankung kürzer. Aus dem Geschäft zieht er sich aber – ganz Unternehmer alter Schule – nicht zurück. Bis in die 1950er-Jahre nutzt er seine Kontakte ins Ausland, um die Internationalisierung von Bizerba voranzutreiben. Die Firmenstrategie liegt auf der Hand: Deutschland, dessen Wirtschaft unter den Folgen des Ersten Weltkriegs leidet, reicht als Markt nicht aus. Vater und Sohn wollen nicht abhängig sein von der Lage der hiesigen Wirtschaft und dehnen ihre Aktivitäten in die Schweiz (traditionell ein Land, mit dem Firmen aus Württemberg gerne Handel treiben) und nach Italien aus. Die Neigungswaagen aus Balingen genießen in beiden Ländern schon bald einen exzellenten Ruf. Die Nachfrage wird so groß, dass die Unternehmensleitung vor einer schwierigen Frage steht: Wo findet man rasch genügend qualifizierte Mitarbeiter, um die Kundenwünsche erfüllen zu können? Zwar hatte man vorausschauend geplant und Kriegsheimkehrer ans Unternehmen gebunden – doch die Nachfrage ist zu groß. Kurzfristig ist es nicht möglich, die Personallücken zu schließen, weshalb man bei den Behörden um eine Ausnahmegenehmigung ersucht, um die Arbeitszeiten zu verlängern. In den 1920er-Jahren liegt die Wochenarbeitszeit im Werk Balingen bei 65 Stunden. Die Belegschaft arbeitet somit offiziell 17 Stunden länger als Arbeiter im Rest des Landes. Wenn man so will, ist dies auch ein frühes Beispiel dafür, wie im Unternehmen besondere Herausforderungen mit gemeinsamem, starkem Engagement gemeistert werden. Die Loyalität, mit der die Mitarbeiter nach Kriegsende empfangen wurden, zahlt sich nun aus.
Wilhelm Kraut junior
„Wer selbst nicht brennt, kann andere nicht entfachen.“ Mit Günter Kraut übernimmt die vierte Generation die Firmenleitung: Er treibt die Internationalisierung von Bizerba systematisch voran und erweitert die Produktvielfalt. Unter seiner Führung werden die Weichen für den notwendigen Wechsel vom mechanischen zum elektronischen Wiegen gestellt und die Grundlagen für vernetzte Lösungen gelegt. Bis zu seinem viel zu frühen Tod steuert er Bizerba erfolgreich durch die Herausforderungen eines sich ständig verändernden Marktumfelds.
Unternehmer müssen viele Talente besitzen. Sie sollten Geschäftssinn haben, aber diesen nicht über ihre Vision stellen wollen. Sie müssen kreativ sein, aber auch organisiert und diszipliniert. Und sie haben insbesondere die Aufgabe, Menschen führen und „mitnehmen“ zu können, denn ohne das volle Engagement vieler Einzelner wird eine gemeinsame Sache nicht erreicht werden. Auf den Unternehmer Günter Kraut treffen diese Eigenschaften zu. Selbst viele Jahre nach seiner Ära berichten Mitarbeiter euphorisch aus einer Zeit, in der es ihm gelang, das Feuer seiner Leute zu entfachen. Er hatte die Gabe, die Belegschaft auf gemeinsame Ziele einzuschwören und sie zu Höchstleistungen zu motivieren. Weil er die Leidenschaft für seine Firma vorlebt.
Die wohl tiefste Zäsur in den letzten Jahrzehnten der Unternehmensgeschichte ist der plötzliche Tod Günter Krauts. Der sportliche Unternehmer, agil, dynamisch und mitreißend, stirbt im Sommer 1995 beim Tennisspiel. Nur drei Jahre, nachdem die Bizerba Belegschaft von Firmenpatriarch Wilhelm Kraut Junior Abschied nehmen muss, der im Alter von 86 Jahren verstirbt, steht das Unternehmen plötzlich ohne seinen Chef und seine Identifikationsfigur da. Sein Ableben schickt Schockwellen durch die Firma, zumal es sich um eine wirtschaftlich schwierige Phase handelt. Verunsicherung macht sich breit, Gerüchte machen die Runde. Wird Bizerba an einen internationalen Konzern verkauft? Werden Teile des Unternehmens einzeln an Mitbewerber veräußert? Endet die Tradition?
Die Familie Günter Krauts rückt in diesen schwierigen Wochen und Monaten noch enger zusammen. Der einfachere Weg wäre klar gewesen: ein Verkauf der Anteile – und damit das Ende der Familientradition nach 129 Jahren. Doch die Familie entscheidet sich gemeinsam für den schwierigen Weg: Frigga Kraut und ihre drei Kinder beschließen, ihr Vermögen in der Firma zu lassen, was ein erhebliches Risiko darstellt. Andere Familienmitglieder werden ausbezahlt und der Kapitalstock durch externe Kapitalgeber angehoben. Es geht weiter. Die Kinder von Günter und Frigga Kraut sind zu diesem Zeitpunkt zu jung, um die Geschicke an der Spitze zu übernehmen; alle drei studieren noch. Erstmals in der Geschichte von Bizerba übernehmen daher externe Manager diesen Job.
Günter Kraut
Von 1906 (Wilhelm Kraut senior) bis 1995 (dem unerwarteten Tode Günter Krauts) hatte stets ein Mitglied der Familie Kraut die Leitung von Bizerba inne. Nun schloss sich 2011 –
16 Jahre nach dem Tod Günter Krauts – wieder der Kreis: Andreas Wilhelm Kraut wird als Vertreter der fünften Generation CEO – die Tradition wird fortgesetzt, und das Unternehmen trägt von nun an seine Handschrift. Die Zeichen stehen auf Wachstum und Globalisierung. Innovative Anwendungen und das konsequente Bekenntnis zu offenen Systemen sind Merkmale der Bizerba Open World.
Außerdem gibt die Familie Anfang des Jahres 2016 bekannt, dass sämtliche Firmenanteile nun wieder in Familienbesitz sind. Nach dem Tod Günter Krauts hatte man externe Investoren an Bord geholt, um die anderen Familienstämme auszuzahlen. Bizerba gehört also im großen Jubiläumsjahr wieder zu 100 Prozent der Familie Kraut.
„Als mein Vater unerwartet starb, fühlte ich die innerliche Verpflichtung, sein Erbe weiterzuführen. Ich stand an seinem Grab, zusammen mit knapp zweitausend Menschen der Trauergemeinde, und ich dachte: ‚Opa und du, ihr habt nicht umsonst so hart gearbeitet.‘ Ich wusste, dass es weitergehen würde mit unserem Familienunternehmen Bizerba. Wir würden nicht verkaufen, wir würden nicht den für uns wohl einfachen Weg gehen und zulassen, dass das Unternehmen vielleicht zerschlagen würde. Für mich war klar, die Arbeit von vier Generationen meiner Familie weiterzuführen. Man kann es Verantwortung nennen: für unsere Mitarbeiter, aber auch für die Region und den Zollernalbkreis, wo wir einer der wichtigsten Arbeitgeber sind. Die Firma hat meiner Familie und mir viel gegeben – es war an der Zeit, so empfinde ich es, etwas zurückzugeben.”
„Manchmal werde ich verwundert gefragt, warum ich mir als Firmenchef auch für vermeintlich kleine Kunden Zeit nehme. Ich muss sagen: Es freut mich genauso, einem neuen Kunden zwei Waagen zu verkaufen wie einen Millionendeal mit einem Großkunden abzuschließen. Mir kommt es auf jeden einzelnen Kunden an. Dieses Feuer ist wichtig. Wir wollen an der Spitze sein, und dieser innere Antrieb ist dafür unerlässlich.”
Andreas Wilhelm Kraut
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